JEWISH ROULETTE

 

NM im Kult-Bau

>>> Freitag, 25. Oktober 2019, 20.00 Uhr

„JEWISH ROULETTE“

Shelley Kästner liest und diskutiert mit den Gästen über jüdische Identität.

Shelley Kästner, 1961 in Zürich geboren, liess sich zur Schauspielerin ausbilden und wirkte in vielen Film-, Fernseh- und Theaterproduktionen im In- und Ausland mit – zuletzt in der preisgekrönten Komödie „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ (2018). Heute arbeitet Shelley Kästner hauptberuflich als Neuropsychologin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Internationales Aufsehen erregte ihr Bühnenstück „Antisemitismus, oder Die Lust, gemein zu sein“ (1997); es fokussierte auf die nachrichtenlosen Vermögen in Schweizer Banken und wirkte damit an der Aufarbeitung der im Hinblick auf die Angehörigen des Judentums keineswegs immer glücklichen Geschichte der Schweiz mit. 2001 wurde Shelley Kästner Mutter eines Sohnes; im Alter von 14 Jahren führte derselbe als Vertreter der „Generation X“ ein Gespräch mit ihr, aus dem der Titel ihres Buches „Jewish Roulette“ hervorgehen sollte. 21 Gespräche bilden die Grundlage desselben, 21 Kurzbiografien werden darin erfasst, deren kleinster gemeinsamer Nenner ihre Zugehörigkeit zum Judentum ist. Die Biografien jedoch sind so individuell und verschieden, wie Menschenleben nur individuell und verschieden sein können. Der Untertitel von „Jewish Roulette“ lautet denn „Vom jüdischen Erzbischof bis zum atheistischen Orthodoxen“. Natürlich zeigt er die Spannbreite der dargestellten Existenzen auf, doch weist er ebenso auf Lebensformen hin, die einen Widerspruch in sich selbst formulieren. Wie wir Menschen leben, setzen sich, wie sehr wir uns auch dagegen wehren mögen, immer wieder Widersprüche durch, denn unsere Existenz lässt sich nicht auf eine einzige Zugehörigkeit reduzieren. Von solchen Reduzierungen lebt die Rhetorik des Hasses, der Ausgrenzung, die Rhetorik der gesellschaftlichen Spaltung. Shelley Kästners Buch „Jewish Roulette“ ist in einer von identitären Strömungen erschütterten Zeit ein Antidot voller Denk- und Merkzettel für uns alle, egal, welche Herkunft wir haben mögen.

„An unserer Schule wurde beispielsweise jedes Jahr ein Krippenspiel aufgeführt. Dabei wurde Maria immer von einem zwölfjährigen Mädchen gespielt. Als ich ins besagte Alter kam, wurde mir diese Rolle in Aussicht gestellt. Von meinem Aussehen her wäre ich mit meinen langen braun gelockten Haaren, den mandelförmigen grün-braunen Augen und meinem olivfarbenen Teint dafür prädestiniert gewesen. Ich spielte mit grossem Vergnügen und als Tochter einer Schauspielerin sogar mit einigem Talent Theater. Das ganze Jahr über hatte ich mich riesig auf das Krippenspiel gefreut. Kurz vor Probenbeginn liess mich der Schulpfarrer jedoch wissen, dass ich die Maria nun doch nicht spielen dürfe. Später erfuhr ich, dass er mich umbesetzt hatte, weil er es unpassend fand, Maria von einer Jüdin verkörpern zu lassen. Über diese Zurückweisung hinweg tröstete mich ein wenig die Erkenntnis, dass Maria als gläubige Jüdin an meiner Schule die Mutter Gottes auch nicht hätte spielen dürfen.“

Shelley Kästner: Jewish Roulette – Vom jüdischen Erzbischof bis zum atheistischen Orthodoxen. Salis Verlag. Zürich 2018 

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© Thomas Raschle